Wenn Dinge nur noch mit Kontrolle funktionieren, läuft irgendwas schief
Clemens arbeitet seit 2016 in der bevuta und gehört damit zu den “alten Hasen”. Als Anforderungsmanager hat er mit fast allen Kolleg*innen immer mal wieder zu tun, was es ihm leicht macht, auch in verteilten Büros den Kontakt zu halten. Trotzdem war er am Anfang alles andere als ein Home-Office-Fan.
Wir sprechen über Home Office in der 1-Zimmer-Wohnung, Arbeitsmeetings per Videocall und Flexibilität und Kontrolle.
Du bist ja schon lange in der bevuta und kennst auch Zeiten, in denen nicht das gesamte Team von zu Hause aus gearbeitet hat. Wie war der Übergang für dich?
Es gab ja in der bevuta schon immer die Möglichkeit, remote zu arbeiten, ich habe das aber sehr selten genutzt. Ich war eigentlich immer gerne im Büro, und ich mochte auch die Trennung, die damit einhergeht: Wenn du im Büro bist, arbeitest du, und wenn du zu Hause bist, bist du fertig.
Als es 2020 losging, dass alle ins Home Office sollten, hatte ich am Anfang riesige Probleme damit.
Woran lag das?
Aus irgendeinem Grund hat es mich viel mehr Energie gekostet, zu Hause konzentriert zu arbeiten, als im Büro.
Möglicherweise lag das auch daran, dass ich da noch alleine in meiner kleinen 1-Zimmer-Wohnung gewohnt habe. Alles hat sich in einem Raum abgespielt, es gab keine räumliche Trennung zwischen Arbeit und Privatleben. Ich habe eine ganze Weile gebraucht, mich daran zu gewöhnen.
Eine Zeitlang haben meine Freundin und ich es dann auch so gemacht, dass wir uns getroffen haben, um gemeinsam Home Office zu machen. Das war tatsächlich einfacher, aber durch die räumliche Beschränkung in den kleinen Wohnungen auf Dauer auch schwierig.
Vor einem Jahr sind wir dann zusammen in eine 4-Zimmer-Wohnung gezogen, wo jeder sein eigenes Arbeitszimmer hat. Das hat nochmal viel verändert. Jetzt haben wir gemeinsamen Raum, aber auch innerhalb der Wohnung eine räumliche Trennung, die den Unterschied klarer macht: Jetzt bin ich privat, jetzt arbeite ich.
Klingt nach einer perfekten Lösung. Kannst du dir vorstellen, irgendwann wieder fünf Tage die Woche ins Büro zu gehen?
Gute Frage. Ich glaube, ein paar Tage ja, aber ich würde schon auch langfristig gerne ein paar Tage pro Woche im Home Office bleiben.
Du hast ja den direkten Vergleich: Hast du einen Unterschied in der Zusammenarbeit im Team festgestellt, seit alle im Home Office sind?
Eigentlich nicht. Beziehungsweise wenn, dann eher an der Oberfläche, rein organisatorisch.
Die Dinge liefen früher einfach physischer ab: Das tägliche StandUp-Meeting sah so aus, dass wir uns alle in einem Raum treffen und einen Ring durch die Runde werfen, um das Wort an den nächsten weiterzugeben. Das war wirklich sehr physisch. Und natürlich hat man auch sonst mit anderen Kollegen und Kolleginnen zusammen in einem Raum gesessen. Heute machen wir das eben per Videocall in Jitsi.
Wenn man mal eben kurz eine Auskunft von anderen Leuten haben wollte, ist man einfach vorbeigegangen und hat geguckt, ob sie gerade ansprechbar sind. Heute schreibt man eine Chat-Nachricht, was in den meisten Fällen genauso gut funktioniert.
Menschen zu erreichen, die viel zu tun haben, und von vielen gefragt sind, wie Pablo etwa (einer unserer Captains), war wahrscheinlich ein bisschen einfacher. Man konnte am Büro vorbeigehen und schauen, ob es gerade ein guter Moment ist, um zu sprechen. Wenn ich heute was in den Chat schreibe, kann es sein, dass ich direkt eine Antwort bekomme - oder aber auch nicht. Das macht den größten Unterschied, ansonsten nicht so sehr.
Waren denn vor Corona alle Kolleg*innen immer im Büro?
Nein, alle noch nie, aber die meisten. Geändert hat sich das aber langsam über die Zeit, gar nicht unbedingt erst mit Corona.
Zum einen sind wir als Unternehmen stark gewachsen, da ist es auch dazu gekommen, dass immer mehr Kollegen und Kolleginnen neu angefangen haben, die nicht in Köln saßen.
Dazu kam, dass andere Kollegen weggezogen sind. Deshalb fing es damals schon an, dass bei Meetings meist einige vor Ort waren, aber auch immer mehr per Video dabei.
Manchmal war es dann besser und stabiler, dass sich direkt alle über den Videocall getroffen haben, jeder an seinem eigenen Rechner. Vor allem war es so gleichwertiger zu denen, die eben nicht im Büro waren.
Das galt nicht nur für den StandUp, sondern auch für Arbeitsmeetings. Wenn wir uns zum Beispiel zu dritt zu einer Discovery getroffen haben – zwei im Büro, einer zu Hause, dann hat jeder über den Videocall am eigenen Rechner gesessen. So ist es mit der Zeit immer normaler geworden, sich auf Jitsi zu treffen.
Sind die Videocalls für dich ein guter Meeting-Ersatz?
Ja, schon. Für mich ist es total wichtig, dass man ein Bild von den Leuten hat. Wäre es alles nur telefonisch, wäre es anders. Im Videocall siehst du auch die Reaktion der Leute. Per Telefon bekommst du zum Beispiel nicht mit, ob jemand komisch guckt, weil er eine Idee doof findet oder nicht versteht. Wenn du die Leute siehst, merkst du sowas und kannst darauf eingehen.
Eine Nachbarin von mir macht bei der Bank, in der sie arbeitet, alles nur als Telefonkonferenz, zum Teil mit 20 Leuten, da frage ich mich, wie das geht.
Wie häufig machst du Videocalls?
Ich glaube, ich verbringe bestimmt mindestens die Hälfte des Tages in Videocalls. Allerdings nicht nur in Meetings, wo man sich abspricht, sondern auch zum gemeinsamen Arbeiten. Im Anforderungsmanagement arbeiten wir zum Beispiel konkret gemeinsam an Dokumenten, während wir über Jitsi miteinander darüber sprechen.
Das funktioniert super mit Google Docs, wo man live gleichzeitig im selben Dokument schreiben kann. Je nach Thema helfen auch andere Werkzeuge dabei, wie Figma für die Designs. Wenn man in Echtzeit sehen kann, was der andere gerade tut, kann man auf diese Art sehr gut parallel an Texten, Entwürfen oder Prototypen arbeiten.
Kommen diese Werkzeuge erst zum Einsatz, seit alle im Home Office sind?
Nein, solche Online-Werkzeuge haben wir auch schon vor der ganzen Home-Office-Zeit eingesetzt. Wir haben zum Beispiel schon immer direkt in Google Docs gearbeitet, häufig gemeinsam in einem Büro, dann hat einer es auf einem großen Bildschirm geteilt.
Das war eine gute Strategie von Anfang an, und ohne würde ich es mir heute sehr schwierig vorstellen. Wenn man gemeinsam an Dokumenten arbeitet, aber nur einer kann schreiben, ist das für die anderen schnell uninteressant. Und Dokumente in verschiedenen Versionen hin- und herschicken geht gar nicht.
Unternehmen, bei denen solche Werkzeuge fehlen, haben glaube ich auch größere Probleme, dass die Teams über die Entfernung effizient zusammenarbeiten.
Also hängt viel auch von der richtigen Software ab?
Eher von der richtigen Lösung – ich glaube gar nicht, dass es immer fertige Werkzeuge sein müssen. Ich weiß zum Beispiel von unseren Entwicklern und Entwicklerinnen, dass sie sich für das Pair Programming Lösungen gebaut haben, mit denen sie zusammenarbeiten können, als ob sie in einem Büro sitzen. Der Editor, in dem sie den Code bearbeiten, läuft dann in einer virtuellen Maschine, auf die beide Zugriff haben. Auf diesem einen virtuellen Rechner, den beide sehen können, schreiben sie zusammen und können parallel darin arbeiten. Diese interaktiven Lösungen sind total wichtig.
Du hast gesagt, du hattest am Anfang Schwierigkeiten - heute möchtest du aber nicht mehr auf das Home Office verzichten. Warum hat sich das geändert?
Bei mir ist es tatsächlich voll umgeschwenkt, ich genieße die Vorteile des Home Office inzwischen total. Zum einen empfinde ich es als einen riesigen Gewinn, dass die Fahrtzeiten wegfallen. Zum anderen bin ich einfach viel flexibler. Ich kann zwischendurch Pakete annehmen, mache mir was zu essen, mache kurze Pausen, wann ich möchte.
Für mich hat es sich sehr gut zurechtgeruckelt. Und dadurch, dass man die Leute immer sieht, habe ich nicht das Gefühl, dass mir das Büro sehr fehlt.
Gibt es irgendwas, was noch besser werden könnte in Sachen Remote Teamwork?
Ehrlich gesagt fällt mir da nicht viel ein. Ich finde es gut, dass wir die StandUps beibehalten haben und jetzt eben per Videocall machen. Das ist eigentlich ein sehr kleines Meeting, was aber super viel bringt für den Teamzusammenhalt.
Im Büro sind ja manchmal auch diese kleinen Pausen für den Zusammenhalt wichtig, wo man sich zusammen einen Kaffee holt. Wenn du dich mit Leuten im Videocall triffst, ist es aber ja auch völlig ok, mal ein paar Minuten über Persönliches zu reden.
Diese Gelegenheit hat man remote natürlich weniger mit Leuten, mit denen man nicht zusammenarbeitet. In meiner Position habe ich mit fast allen mal zu tun, da rede ich mit fast jedem mal. Ich kann mir vorstellen, dass es bei manchen auch anders ist. Möglicherweise gibt es für die noch Raum für Verbesserungen. Viele schaffen sich diese Gelegenheiten aber auch einfach selbst.
Bei den Entwicklern ist es zum Beispiel so, dass sie einen gemeinsamen Jitsi-Channel den ganzen Tag geöffnet haben, über den sie sich auch nebenbei austauschen, als ob sie in einem Raum wären.
Hast du im Home Office regelmäßige Arbeitszeiten?
Mehr oder weniger. Ich fange meistens irgendwann zwischen halb neun und halb elf an. Wann ich aufhöre, ist sehr unterschiedlich, und das finde ich einen der größten Vorteile an der Arbeit von zu Hause aus.
Wenn man im Büro ist, hat man meist seine acht Stunden, die man jeden Tag arbeitet. Man geht also meist zu einer fixen Zeit nach Hause. Bei mir wechselt das jetzt sehr. Es gibt Tage, an denen arbeite ich nur sechs Stunden, an anderen zehn oder mehr. Je nachdem, was gerade los ist oder wie gerade meine geistige Kapazität ist. Das flexibel zu handhaben, ist im Home Office viel einfacher. Dabei bringen ja die Tage nichts, an denen man nach sechs Stunden total durch ist, aber noch zwei Stunden im Büro abhängt, aber nichts mehr produziert - bloß weil halt noch zwei Stunden fehlen. Das ist ja total sinnlos.
Wenn ich merke, bei mir geht nichts mehr, dann mache ich lieber einfach Schluss. Vielleicht fällt mir später noch was ein, dann setze ich mich manchmal auch nochmal dran.
Aber diese größere Flexibilität ist sehr erholsam, finde ich. Weil nicht dieser Druck da ist: “Meine Bürozeiten sind von dann bis dann, ich muss jetzt noch zwei Stunden rumsitzen.”
Was ja eine Win-Win-Situation ist - für dich ist es erholsamer und die Firma bekommt mehr produktive Zeit ab.
Genau. Bei mir mittelt sich das ziemlich gut, so dass ich im Schnitt acht Stunden am Tag arbeite. Manchmal steckt man tief in was drin, und es läuft gerade gut, dann will man das noch fertigmachen. Dann ist es auch kein Problem, länger zu arbeiten. Genauso nehme ich mir die Freiheit, wenn ich merke, das wird heute nichts mehr, mal früher Schluss zu machen.
Es ist natürlich eine Frage der Eigenverantwortlichkeit, dass man das dem Arbeitgeber gegenüber fair handhabt. Es kontrolliert ja keiner. Aber ich denke immer: Wenn Dinge nur noch mit Kontrolle funktionieren, läuft irgendwas schief. Das Ideal ist ja schon, dass man gerne arbeitet, weil man seine Arbeit mag, und die Arbeit einem auch was gibt.
Arbeitgeber müssen bei remote arbeitenden Teams ein bisschen Kontrolle aufgeben, und es gibt Arbeitgeber, die damit ein Problem haben. Aber sie bekommen neben der höheren Produktivität auch viel dafür – beispielsweise bleiben die Mitarbeiter*innen im Zweifel länger im Unternehmen.
Einige Kollegen, die schon länger in der bevuta sind, wären heute womöglich nicht mehr dabei, wenn sie nicht remote arbeiten könnten, weil sie aus privaten Gründen irgendwann aus Köln wegziehen wollten. Und das wäre ein ziemlicher Verlust an Wissen und Erfahrung gewesen.
Ja, das sehen wir ganz genauso. Vielen Dank für deine wertvollen Gedanken und Impulse zu diesem spannenden Thema!
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