Wie Digitalisierung die Welt ein bisschen besser machen kann
Nehmen Maschinen uns sämtliche Arbeitsplätze weg? Machen Smartphones uns krank? Zerstören Soziale Medien die Demokratie? Ist digitale Massenüberwachung das Ende der Privatsphäre? Die Digitalisierung ist wohl eine der disruptivsten Veränderungen, die unsere Gesellschaft jemals mitgemacht hat, und sie bringt auch zahlreiche Probleme und Gefahren mit sich. Was bei all den Schreckensszenarien aber viel zu leicht untergeht: Richtig eingesetzt können digitale Ansätze die Welt auch besser machen. Sie können zur Lösung elementarer Probleme beitragen. Und wenn man sinnvoll damit umgeht, lassen sich die negativen Seiten digitaler Prozesse und Produkte auch deutlich reduzieren.
Die t3n hat in ihrer letzten Ausgabe das Motto #techforfuture ausgerufen. Diesem Aufruf zu einem bewussten Umgang mit Technologie möchten wir uns aus ganzem Herzen anschließen. Denn natürlich tragen auch wir als Software-Unternehmen Verantwortung für unser Handeln und seine Konsequenzen für diese Welt.
Dass Digitalisierung kein Selbstzweck sein darf, sondern das Leben besser machen soll, ist ohnehin schon immer der wichtigste Leitsatz unserer Arbeit. Aber wie kann sie dazu beitragen, die Zukunft der Menschheit zu schützen und die Welt vielleicht sogar zu einem lebenswerteren Ort zu machen? Für mehr Zusammenhalt, mehr Solidarität, mehr Mitbestimmung, mehr Nachhaltigkeit, mehr Umweltschutz und vielleicht sogar mehr Frieden sorgen? Oder einfach nur kleine Verbesserungen anstoßen? Schließlich schlagen die kleinsten Veränderungen manchmal die größten Wellen.
Zur Lösung welcher Probleme kann Digitalisierung beitragen?
Uns fällt kaum eine Branche ein, die durch die zunehmende Digitalisierung nicht verändert wurde. Aber in manchen Branchen sind digitale Prozesse natürlich präsenter als in anderen. Und in fast allen bieten sie enorme Potenziale, Abläufe zu vereinfachen, effizienter und damit nachhaltiger zu gestalten.
Digitalisierung im Verkehr
Unsere Autos werden immer noch zu 98 % von Verbrennungsmotoren angetrieben und ein Nachmittag ohne Stau gehört fast schon zum Luxus. In seiner elementaren Struktur ist unser Verkehrssystem im letzten Jahrhundert steckengeblieben. Was vor allem daran liegt, dass sowohl der Automobilbranche als auch der Politik der Mut fehlt, echte Innovationen zuzulassen und ihr disruptives Potenzial für nachhaltige Verbesserungen zu nutzen. Denn natürlich hat die Digitalisierung auch den Verkehr schon längst erreicht. Bislang aber eher unter der Oberfläche und ohne am System etwas zu ändern. Natürlich sind Navis aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Und auch digitale Fahrassistenzsysteme, die den Verkehr sicherer machen sollen, sind auf dem Vormarsch, wenn auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Revolutionäre Veränderungen wären aber wohl nur beim Sprung zum autonomen Fahren zu erwarten. Eng damit verknüpft ist das Thema Verkehrssteuerung: Was über verkehrsabhängige Temporegulierungen und Stauanzeigen heute schon Alltag ist, lässt sich in einem konsequenten Connected-Mobility-Ansatz natürlich noch deutlich ausbauen - SmartParking inklusive.
So richtig spannend wird Digitalisierung im Verkehrssektor allerdings, wenn die Grenzen zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln und verschiedenen Anbietern wegfallen. Wir haben uns ein paar Beispiele hierfür etwas näher angeschaut.
Bündeln von Informationen für besseres Nutzererlebnis
Die litauische Hauptstadt Vilnius hat mit der App Trafi vorgemacht, wie das funktionieren kann. Die dafür entwickelte Technologie hat inzwischen auch ihren Weg nach Deutschland gefunden: Mit Jelbi ist es nun auch in Berlin möglich, sich den optimalen Mobilitätsmix für die gerade geplante Strecke zentral in einer App zu suchen: Kommt der Bus pünktlich, steht ein Mietwagen in der Nähe oder gibt es ein freies Leihfahrrad um die Ecke? Alles das zentral in einer App zu finden, bringt dem Nutzer natürlich enorme Vorteile. Und wenn es dazu führt, dass immer mehr vom scheinbar alternativlosen eigenen Auto auf intermodale Verkehrskonzepte umsteigen, hat es das Potenzial, nicht nur CO2-Einsparungen, sondern auch eine spürbare Verkehrsentspannung in den Ballungsgebieten mit sich zu bringen.
Einer der ehemals großen Hoffnungsträger eines zukunftsgerichteten Individualverkehrs, das CarSharing, kämpft derweil mit dem Konflikt zwischen einem wirtschaftlichen (also entsprechend hohen) Auslastungsgrad und der dann für die Kunden geringen Flexibilität: Wenn alle Autos ständig unterwegs sind, bekommt man als Nutzer keines mehr. Die naheliegendste Lösung ist auch hier, den Pool zu vergrößern und mehrere Anbieter zumindest in einer App zu zentralisieren - ob das das Problem der geradezu minimalistischen Margen lösen wird, bleibt allerdings fraglich.
Am Beispiel von Trafi und Jelbi sieht man, dass ÖPNV (und auch Fernverkehr) deutlich spannendere Potenziale bieten als der klassische Individualverkehr. Natürlich gibt es bereits diverse digitale Prozesse, die zum Beispiel die Nutzung von Bus und Bahn attraktiver machen sollen: Online-Ticketing, Echtzeit-Informationen an Haltestellen und in Apps sowie Vorrangschaltungen für Busse etwa. Solange staatliche “Digitalisierungsoffensiven” sich noch schwerpunktmäßig mit so doch eher banalen Themen wie dem Online-Ticketing befassen, werden die Potenziale allerdings bei weitem nicht ausgenutzt.
Wir haben aus den vielen Möglichkeiten mal zwei Projekte bzw. Visionen herausgegriffen, die wir für besonders vielversprechend halten:
Individualisierung des Öffentlichen Nahverkehrs
Dass der öffentliche Nahverkehr zuverlässiger werden muss, wenn er mehr Menschen abholen soll, ist wohl unumstritten. Und zweifellos können entsprechende Datenmengen über den aktuellen Verkehrsfluss oder die zu erwartende Passagieranzahl ihren Teil dazu beitragen. Ganz werden sich Ausfälle oder Verspätungen aber nicht vermeiden lassen.
Gerade für längere Pendelstrecken oder auch im ländlichen Raum ist eine Annäherung von öffentlichem Nahverkehr und Individualverkehr vermutlich eine der vielversprechendsten Zukunftsvisionen. Von der selbstfahrenden Gondel, die uns betrieben von Solarstrom hinbringt, wo immer wir wollen, sind wir sicherlich noch ein bisschen entfernt. Aber die ersten Schritte hin zu einer Individualisierung des öffentlichen Verkehrs sind bereits getan. Zum Beispiel mit dem Projekt Mobilfalt, das in Nordhessen private Ridesharing-Fahrten und öffentliche Nahverkehrsfahrten in einem gemeinsamen Fahrplan kombiniert. Bei einer solchen Verschmelzung öffentlicher und privater Angebote spielen digitale Systeme ihre Stärken aus - ein Weg, der sich noch deutlich konsequenter weitergehen lässt.
Mehr Züge auf die Gleise
Eine digitale Innovation, die vor allem den Fernverkehr stark beeinflussen könnte, ist der neue Level 3 des Zugbeeinflussungssystems ECTS, der sich aktuell noch größtenteils in der Evaluierung befindet. Was zugegebenermaßen etwas sperrig klingt, ist nicht weniger als die Möglichkeit, auf den bestehenden Gleisen durch bessere digitale Steuerung mehr Züge fahren lassen zu können. Das Hauptziel des European Train Control System ECTS ist es, durch ein einheitliches europäisches Zugsicherungs- und Zugbeeinflussungssystem den europäischen Bahnverkehr stärker zu verknüpfen. Hinter dem in mehreren Leveln weiterentwickelten gemeinsamen Standard steht ein komplexes digitales Netz, das in Level 3 ununterbrochen Daten zum genauen Standort und zur Vollständigkeit (= Länge) jedes einzelnen Zuges erhebt, um die Züge auf Basis dieser Daten entsprechend zu steuern Das Spannende daran: Um mehr Zugverkehr zu ermöglichen, müssen bislang aufwendig neue Trassen gebaut werden, was nicht nur viel Geld und Zeit kostet, sondern auch die Umwelt zerstört. Mit ECTS 3 kann eine rein digitale Lösung mehr Züge auf bereits bestehenden Strecken unterbringen - ohne neue Trassen. Angesichts eines dringend nötigen Ausbaus des Schienenverkehrs ist das auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung. Im Standardbetrieb eingesetzt wird ECTS 3 in Deutschland allerdings bislang nur von der Wuppertaler Schwebebahn, und das in einer abgespeckten Version ohne Zugvollständigkeitsüberwachung (manchmal deshalb nur als ECTS 2+ eingestuft). Von der Deutschen Bahn ist derweil zu lesen: “ETCS-Level 3 ist derzeit noch nicht Teil der ETCS-Strategie der DB Netz AG”. Angesichts der dahintersteckenden Potenziale fragt man sich, warum.
Digitalisierung als Verkehrsretter?
Wer heute regelmäßig in deutschen Ballungsgebieten mit dem Auto unterwegs ist, hat wohl kaum einen Zweifel daran, dass sich in Sachen Verkehr sehr Grundlegendes ändern muss. Zu vielen der Schritte, die dazu nötig sind, können digitalisierte Prozesse und datengestützte Modelle einen entscheidenden Beitrag leisten, z. B.: zum Lenken von Verkehrsflüssen, zur Weiterentwicklung von Car-/Ridesharing, zu Verbesserung und Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs sowie zum Reduzieren von Individualverkehr durch das Weiterentwickeln intermodaler Verkehrskonzepte. Städte wieder mehr für Menschen und weniger für Autos zu planen, mehr Menschen vom PKW in den Bus, die Bahn, den Zug oder auch auf das Fahrrad zu bekommen und den dann noch verbleibenden Individualverkehr mit Elektroautos abzudecken. Klingt nach Zukunftsvision, ist aber heute schon problemlos erreichbar.
Denn für den Großteil dieser Themen sind die benötigten Werkzeuge sogar schon da - sie müssten nur noch genutzt werden. Was fehlt, sind also nicht die technischen Möglichkeiten, sondern der Wille zur Veränderung.
Digitalisierung im Arbeitsalltag
Auf andere Verkehrsmittel umzusteigen, ist eine Lösung, der Probleme des überbordenden Individualverkehrs Herr zu werden. Wie wäre es aber, wenn wir einfach insgesamt viel WENIGER in der Gegend herumfahren?
Eine stärkere Digitalisierung des Arbeitsalltags macht das schon heute möglich. Um auch über große Entfernungen miteinander zu kommunizieren, müssen wir schon lange nicht mehr in Auto, Zug oder Flugzeug steigen. E-Mails, Messenger, Videokonferenzen und zahlreiche Kollaborationstools machen es möglich, gemeinsam an komplexen Projekten zu arbeiten, selbst wenn man ganze Ozeane zwischen sich hat. Die technischen Möglichkeiten sind hier schon längst da, eigentlich müssen wir sie nur noch nutzen. Sei es, um ständige Dienstreisen zu vermeiden oder um das tägliche Pendeln durch mehr Homeoffice-Tage zu reduzieren.
Und vielleicht lassen sich sogar die häufig nicht weniger zeitraubenden Videokonferenzen oder andere manuelle Abstimmungsformen durch smarte digitale Prozesse reduzieren?
Wie wäre es, wenn unsere Arbeit durch Digitalisierung interessanter und durch effizientere Prozesse sogar weniger würde?
Die richtige Software kann uns jede Menge monotoner Aufgaben abnehmen, und das tut sie natürlich schon heute. Vorbei sind die Zeiten, in denen jeder Zahlungseingang manuell der entsprechenden Rechnung zugeordnet werden musste. Die Automatisierung immer gleich ablaufender Prozesse steht aber noch am Anfang - gerade in Unternehmen sind hier noch ungeahnte Effizienzpotenziale zu heben. Ein paar Beispiele für Anwendungsfälle, die alle heute schon eingesetzt werden, aber noch lange nicht bei allen Unternehmen angekommen sind:
- Neue Software lässt sich automatisiert auf allen Firmenrechnern installieren und natürlich auch updaten.
- In Versicherungen können Kundendaten und sogar Schadenfälle automatisiert erfasst, geändert und geprüft werden. Personalabteilungen können das Onboarding neuer Mitarbeiter automatisieren und damit nicht nur beschleunigen, sondern auch Fehler reduzieren: Wie häufig passiert es wohl, dass ein Neuzugang gar keine E-Mails bekommt, weil sich jemand beim Anlegen der E-Mail-Adresse vertippt hat?
- In der Kundenkommunikation können Chatbots dafür sorgen, dass Service-Mitarbeiter nicht ständig dieselben Fragen beantworten müssen. Oder im Hintergrund dem Support-Mitarbeiter Fragen vorschlagen, die dieser dem Kunden stellen kann.
- Die Erstellung von Kundenkonten z. B. bei Banken- und Versicherungen kann papierlos erfolgen. So werden Fehler bei der Übertragung von Informationen verhindert und Bearbeitungszeiten entfallen ganz oder werden auf ein Minimum reduziert. Warum sollte man eine Woche auf ein neues Girokonto warten müssen, wo es doch letztlich nicht mehr als ein Eintrag in einer Datenbank ist?
- Self-Service-Portale für alle Lebensbereiche: Kunden oder Mitarbeiter Dinge selbst tun zu lassen, spart jede Menge Zeit und Geld. Wenn die dahinterstehenden Prozesse durchdacht und aus Nutzersicht designt sind, nicht nur dem Unternehmen, sondern auch dem Kunden oder Mitarbeiter. Der kann Alltägliches dann nämlich einfach schnell per Knopfdruck erledigen, statt seine Zeit in der Telefonwarteschleife zu vertrödeln. Beispiele fallen uns hier jede Menge ein: Neues Kreditkartenlimit. Gehaltsabrechnungen. Dienstpläne. Urlaubsanträge. Termine beim Auto-Service, Friseur oder Arzt. Nebenkostenabrechnung der Mietwohnung. All diese Themen werden bereits online abgewickelt - aber viel zu selten.
Wer Geschäftsprozesse genau unter die Lupe nimmt, wird noch unzählige andere Einsatzmöglichkeiten für softwaregestützte Arbeitserleichterungen finden. Damit die fortschreitende Automatisierung von Geschäftsprozessen auch tatsächlich positive Auswirkungen auf Gesellschaft und Lebensqualität des Einzelnen hat, wird es aber auch notwendig sein, dass wir unser Verhältnis zur Arbeit überdenken. Wenn mehr Automatisierung einfach nur für mehr Wachstum und noch schnelleres Arbeiten genutzt wird, hilft das nämlich höchstens dem Portemonnaie des Unternehmers, aber weder den Menschen noch der Umwelt.
Studien haben inzwischen wiederholt gezeigt, dass wir weniger CO2 produzieren, wenn wir weniger arbeiten. Dann haben wir nämlich zum Beispiel mehr Zeit, Dinge selbst zu machen, etwa ein gesundes Essen mit frischen Zutaten zu kochen, anstatt uns schnell im Supermarkt in Plastik verpacktes Convenience-Food zu greifen.
Wenn wir Effizienzsteigerung durch Digitalisierung also dazu nutzen, Menschen zu entlasten, macht das nicht nur deren Leben besser, sondern schützt gleichzeitig auch noch das Klima. Schöne Perspektive, oder?
Digitalisierung in der Energieversorgung
Zu den größten Stellschrauben beim Thema Klimaschutz gehört zweifelsohne die Energieversorgung. Auch deshalb, weil sie sich auf andere Themen mit auswirkt. Elektroautos etwa - eine der großen modernen Verkehrsvisionen - sind nur dann eine Verbesserung im Vergleich zum Diesel- oder Benzinfahrzeug, wenn der dafür genutzte Strom aus CO2-neutralen Quellen stammt. Und die Digitalisierung selbst, die, wie gesehen, an vielen Stellen für große und kleine Verbesserungen sorgen könnte, braucht natürlich ebenfalls Strom, und zwar nicht zu knapp. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Wie also kann Digitalisierung dazu beitragen, den Strom, von dem sie lebt, nachhaltiger zu gewinnen, zu verteilen und zu nutzen?
Strom intelligent verteilen
Beispielsweise über intelligente Stromnetze, sogenannte SmartGrids. Die sorgen zum Beispiel dafür, dass auch bei vielen dezentralen Stromerzeugern und großen Schwankungen in Angebot und Nachfrage die Netzstabilität erhalten bleibt und möglichst wenig Energie verwendet wird. Eine entscheidende Voraussetzung für den dringend notwendigen Ausbau regenerativer Energien.
Smart Grids können aber auch noch etwas anderes: nämlich eine intelligente Laststeuerung. Ein smartes Demand Side Management reduziert zum Beispiel bei Engpässen oder Störungen die Abnahme von Strom, indem bestimmte Stromabnehmer kurzzeitig ab- und wieder zugeschaltet werden. So lassen sich beispielsweise Wärmepumpenheizungen in privaten Haushalten kurzzeitig abschalten, ohne die Wärmeversorgung zu beeinträchtigen. Ladestationen für Elektroautos sind ebenfalls flexible Stromabnehmer, bei denen eine zwischenzeitige Stromunterbrechung selten schadet, solange das Auto bis zum nächsten Morgen fertig geladen ist. Energieintensive Unternehmen können durch das Integrieren von Demand Side Management viel Geld sparen, indem sie flexible Stromverbraucher im Unternehmen identifizieren und abhängig von Netzauslastung oder Preissignalen auf dem Strommarkt steuern, etwa um verschiebbare Lasten auf verschiedenen Märkten anzubieten.
Ein flächendeckender Einsatz von Smart-Grid-Konzepten reduziert den Bedarf an Kraftwerken, Leitungen und Speichern und kann so nicht nur Geld sparen, sondern auch einen spürbaren Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Neue Energiequellen erschließen
Den immer weiter steigenden Energiebedarf alleine mit regenerativen Energien zu decken, wird eine Herausforderung. Die Forschung an alternativen Stromquellen ist deshalb eine der Zukunftsinvestitionen mit dem größten Potenzial, unseren Umgang mit Energie zu revolutionieren. Denn wie wäre es, wenn wir quasi unendlich Energie zur Verfügung hätten?
Eine Möglichkeit, das zu erreichen, könnte die Kernfusion sein. Die Fusionsforschung bewegt sich allerdings aktuell noch in einem Stadium, das von vielen eher als Science Fiction wahrgenommen wird. Für die Energiegewinnung durch Kernfusion braucht es nicht nur gigantische Plasmatemperaturen von 100 Millionen Grad Celsius bzw. Kelvin. Das ist fast 7-mal so viel wie im Inneren der Sonne. Das Plasma muss außerdem - und an dieser Herausforderung beißt sich die Forschung derzeit noch die Zähne aus - über längere Zeit von einem Magnetfeld in der Schwebe gehalten werden und darf die Wände des Fusionsreaktors nicht berühren. Natürlich ist Fusionsforschung deshalb nicht ganz billig - im Vergleich etwa zu den mindestens 300 Milliarden EUR, die in den letzten Jahrzehnten allein in Deutschland in die Kohlesubvention geflossen sind, sind die Kosten aber verschwindend gering.
Wo hier die Digitalisierung ins Spiel kommt? Für die Forschung an den Potenzialen der Kernfusion sind komplexe Simulationen nötig, die auf Basis entsprechender Software durchgeführt werden. Ohne digital unterstützte Forschung ist kaum denkbar, dass die Menschheit dieses ehrgeizige Energieprojekt jemals in die Tat umsetzen könnte.
Digitalisierung in der Politik
Möglicherweise haben Sie bei dieser Überschrift eher wütende Tweets eines durchgedrehten Staatschefs, menschenverachtende Hetz-Kommentare in den sozialen Medien oder die sehr gezielte Beeinflussung von Wählern auf Basis von Unmengen von Profildaten vor Augen. Ja, die Digitalisierung stellt unsere Gesellschaft im Allgemeinen und die Politik im Besonderen vor ganz neue Herausforderungen. Und schaut man hinter die Kulissen von Cambridge Analytica & Co. ist es sogar sehr wahrscheinlich, dass das Wiedererstarken populistischer Bewegungen auch auf digitale Medien zurückzuführen ist. Die Medien und das Internet deshalb in Gänze zu verteufeln, wäre allerdings zu kurz gegriffen. Denn sie bieten auch das Potenzial für das genaue Gegenteil: Mehr Demokratie. Mehr direkte Beteiligung an politischen Debatten. Und mehr Einfluss des Einzelnen.
Digitale Mobilisierung
Der Arabische Frühling, auch wenn er letzten Endes auf der Straße stattgefunden hat, wäre ohne die Vernetzung über digitale Medien kaum denkbar gewesen. Und rein über analoge Kanäle wäre aus dem Klimastreik einer einzelnen Jugendlichen wohl kaum eine Bewegung geworden, die innerhalb eines Jahres mehrere Millionen (nicht nur) Jugendliche auf die Straßen gebracht hat, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren.
Digitale Medien helfen dabei, Menschen im Kampf für ein gemeinsames Ziel zusammenzubringen. Ob das konstruktive, soziale und friedensstiftende oder menschenverachtende und ausgrenzende Ziele sind, entscheiden wir selbst.
Spielerische Stadtplanung
Auch für von der Politik initiierte direkte Bürgerbeteiligung sind digitale Werkzeuge ideal geeignet. 2012 bereits startete die UN beispielsweise in Kenia ein Bürgerbeteiligungsprojekt mit Hilfe des Computerspiels Minecraft: In der aus Blöcken bestehenden Minecraft-Welt kann man beinahe alles bauen, was die eigene Vorstellungswelt hergibt, und das sehr intuitiv. Die Bewohner Nairobis konnten das Spiel im Rahmen des Projekts dafür nutzen, sich an der Planung für die Umgestaltung ihres Stadtviertels zu beteiligen. Auch in Deutschland sind solche Projekte inzwischen vor allem bei der Einbindung von Kindern und Jugendlichen in die Stadtplanung umgesetzt worden.
Nur ein Beispiel von vielen, wie man Software dazu nutzen kann, Bürger stärker in politische Entscheidungsprozesse mit einzubinden. Außerdem kann man ihnen über entsprechende Diskussionssoftware ermöglichen, Gesetzentwürfe oder andere parlamentarische Prozesse zu kommentieren, Petitionen oder Bürgerbegehren einzureichen oder sich über Nachbarschaftsplattformen zu vernetzen. Dass bei diesem Thema noch viel Luft nach oben ist, stellt man schnell fest, wenn man sich bestehende Bürgerbeteiligungsportale wie zum Beispiel Bonn macht mit oder Mach mit, Münster! etwas näher anschaut.
Digitalisierung als Heilsbringer?
Haben Lindner und Merkel also doch Recht, wenn sie auf die Technologie als großen Retter in der Not verweisen? Wohl kaum. Mit Technologie alleine werden unsere Probleme sich nicht lösen lassen. Das sieht man schon daran, dass viele Technologien uns schon längst zur Verfügung stehen, aber nicht oder viel zu selten eingesetzt werden.
Und natürlich ist keinesfalls alles gut, nur weil es digital ist. Wie schon im Einstieg zu diesem Artikel thematisiert, bergen digitale Technologien auch Gefahren und Negativ-Anreize. Zum Beispiel weil sie durch Unmengen verfügbarer Daten und grenzenlose Verknüpfungsmöglichkeiten Beeinflussung und Manipulation so leicht machen wie noch nie. Deshalb wollen wir uns zu guter Letzt noch der Frage widmen: Wie muss Digitalisierung eigentlich aussehen, damit sie die Welt tatsächlich besser macht - und nicht in das Gegenteil umschlägt?
Wie muss Digitalisierung aussehen, damit sie die Welt besser macht?
Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein
Prozesse nur deshalb zu digitalisieren, weil sie dann hipper sind, ist eine schlechte Motivation. Digitalisierung sollte immer einen Nutzen haben. Einen klar benennbaren Vorteil, der den digitalen Prozess deutlich besser macht als die analoge Variante. Sonst ist sie nichts mehr als Energieverschwendung.
Datenschutz gehört in die erste Reihe
Bei vielen Digitalisierungsthemen wie zum Beispiel der Kartenzahlung, dem digitalen Personalausweis, bei Gesundheits- und Fitnessapps oder Alexa und Co. sind gerade Nerds häufig sehr zurückhaltend. Das hat seinen Grund: Wer mit Daten und digitalen Prozessen arbeitet, weiß auch, wie einfach man sie missbrauchen kann. Je mehr wir digitale Helfer in die unterschiedlichsten Bereiche unseres Lebens integrieren, desto wichtiger ist es, dass die darin erhobenen Daten vor solchem Missbrauch geschützt werden. Ohne klare Datenschutzvorgaben und ein gutes Verschlüsselungskonzept sollte deshalb kein Digitalisierungsprojekt an den Start gehen. Dass es hier noch einiges an Nachholbedarf gibt, zeigt unter anderem das zu Beginn dieses Artikels genannte Berliner Verkehrsprojekt Jelbi, das im Sommer 2019 wegen mangelnden Bewusstseins für das Thema Datenschutz in die Kritik geraten ist.
Effizient coden
Irgendwann in den 1990ern habe ich horrendes Geld für eine 500-MB-Festplatte ausgegeben. Das fühlte sich an wie eine Investition fürs Leben und mein technikinteressiertes Umfeld war schwer neidisch. Wow! Was wollte ich bloß damit? Und wie sollte ich die jemals vollbekommen? Heute kann man für gerade mal 10 Euro das mehr als Hundertfache an Speicherplatz auf einem USB-Stick in der Hosentasche mit sich herumtragen. Oder das Tausendfache auf einer Fläche unterbringen, die kleiner als eine Briefmarke ist. Die Speichermengen, die wir heute mit unseren Daten belegen, sind immens. Das liegt natürlich daran, dass es immer mehr Daten gibt. Die Tatsache, dass Speicher immer günstiger und einfacher verfügbar geworden ist und sich Daten immer schneller übertragen lassen, verführt aber auch dazu, beim Entwickeln von Software nicht mehr so viel Augenmerk auf möglichst effizienten Code zu legen. Dabei braucht guter Code nicht nur weniger Speicher, sondern auch weniger Rechenzyklen und kann deshalb tatsächlich Energie sparen.
Es liegt an uns
Digitalisierung kann die Welt besser machen. Wenn wir sie richtig einsetzen.
Die technischen Möglichkeiten sind da - es liegt einzig an uns, zu entscheiden, wofür wir sie nutzen. Wenn wir digitale Technologien dazu einsetzen, das Klima zu schützen, die Demokratie zu stärken oder unsere Arbeits- und Lebenswelt wieder mehr an den wahren Bedürfnissen der Menschen zu orientieren, dann macht Digitalisierung die Welt zu einem besseren Ort. Nutzen wir sie allerdings dafür, immer bequemer zu werden, die Verantwortung abzugeben, den Reichtum Weniger zu mehren und Macht und Kontrolle aufzubauen, dann kann Digitalisierung auch zum Fluch werden. Genau wie jedes andere mächtige Werkzeug, das missbraucht wird.
Und so ist an den eingangs erwähnten Problemen auch nicht die Digitalisierung schuld, sondern unser Umgang damit. Wenn wir sorgsam und bewusst mit digitalen Prozessen und Ressourcen umgehen, wenn wir sie für die richtigen Dinge einsetzen, wenn wir erst einmal nachdenken, bevor wir digitale Prozesse schaffen oder nutzen, kann Digitalisierung durchaus dazu beitragen, die Welt ein bisschen besser zu machen. Wofür das mächtige Werkzeug Software tatsächlich genutzt wird, liegt einzig und allein an uns.